
Die Engagementszene in Freiburg ist zu Recht stolz auf ihre Vielfalt. Aber einige Personengruppen kommen noch immer kaum vor: so sind Menschen mit Behinderung selten dabei – obwohl sie mehr als 10 Prozent der Stadtbevölkerung ausmachen und viele von ihnen sich engagieren wollen und spannende Themen mitbringen. Woran liegt das? Wo sind die Barrieren? Und wie kann man sie abbauen? Was können Initiativen und Vereine aktiv für eine bessere Inklusion tun? Am 4.12. 24 von 19-21 Uhr gab es dazu im Haus des Engagements vielfältigen Input von ExpertInnen und Betroffenen viel Möglichkeit zum Austausch. Am 4. Dezember trafen sich von 19.00 bis 21.00 Uhr im Haus des Engagements Betroffene und Interessierte zum Erfahrungs- und Informationsaustausch.
Für diese Veranstaltung wurde freundlicherweise eine temporäre Induktionsschleife von SoundArts installiert.
Ablauf
- Begrüßung und Vorstellungsrunde
- Impulsvorträge von Bergit Fesenfeld (Ehrenamtliche im Haus des Engagements) und Hans-Georg Fischer (Vorstandsmitglied Blinden- und Sehbehindertenverein Süd-Baden e.V.). Der Vortrag von Sarah Baumgart (Stadt Freiburg – Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen) ist leider krankheitsbedingt ausgefallen.
- Austausch in zwei kleinen Gruppen
- Come Together
Motivation in der Runde
- Interesse zu lernen (z.B. wie können wir in Freiburg besser Unterstützungen anbieten bzw. Barriere abbauen, im Bezug auf Engagementförderung, usw.)
- Anregungen für Regionalprogramm von EWF (Eine Welt Forum)
- Wunsch für Kulturforum – Input/Feedback zu Barrierefreiheit von der Webseite
- Anliegen/Idee: Veranstaltungsorte in Freiburg mit verschiedenen Ausstattungen aufzulisten, bzgl. Aspekte von Barrierefreiheit (z.B. wo gibt es Induktionsschleife)
- Einige Teilnehmende haben selbst Erfahrungen mit Behinderungen und wollten sich dazu austauschen und Sichtbarkeit für die Menschen mit Behinderungen geben.
Präsentation des Projekts EngagementPLUS:
- Diese Veranstaltung wurde als Teil des Projekts EngagementPLUS organisiert. Das Projekt wird von der Postcode Lotterie gefördert, und zielt darauf ab, barrieren im Engagementbereich abzubauen.
- Schwerpunkt des Projektes ist auf Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund. Im Laufe der Jahre wurde festgestellt, dass das HdE-Angebot für diese Gruppen weniger zugänglich und/oder bekannt ist. Diese beiden großen Gruppen sind jedoch in sich selbst sehr vielfältig. Mit dem Projekt wird also ein Prozess in Gang gesetzt, der auch darüber hinaus fortgesetzt werden muss. Das Thema des Tages konzentriert sich auf die Barrieren, die von Menschen mit Behinderungen erlebt werden.
- Barrieren sind auf zwei Ebenen abzubauen:
- 1) Barrieren abbauen für die Teilnahme (z.B. an Veranstaltungen),
- 2) Barrieren abbauen, um die Teilgabe von Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen. In dieser Gruppe wollen sich die Menschen auch engagieren, sei es zu Themen, die sich auf die Barrieren beziehen, die sie erleben, oder zu anderen gesellschaftlichen Themen.
Impulsvorträge von
Bergit Fesenfeld (Ehrenamtliche im Haus des Engagements). Bergit hat über 8 Jahre in WDR als Schwerbehinderte-Beauftragte gearbeitet. Das Powerpoint ihrer Präsentation kann hier gefunden werden.
- In der Praxis bedeutet Sensibilisierung, dass berücksichtigt wird, dass :
- es schon Barrieren gibt, vor einer Veranstaltung beginnt, z.B. :
- Erreichbarkeit der Veranstaltungsorten (Rampe für den vorderen Teil des Haus des Engagements)
- Präsentation kann als visuelle Hilfe für Vorträgen dienen, aber die Teilnahme von Menschen mit Sehbehinderungen muss berücksichtigt werden. Deswegen erklärt Bergit alle Folien und hat vorab die Grafiken Herrn Fischer erklärt.
- Während der Veranstaltung, entstehen solche Barrieren wie:
- nur Stehtische in „Steh-Empfang“ ohne Sitzplätze
- auf der Sprachebene sollte eine Veranstaltung verständlich für das Publikum sein (Keine Fachwörter, usw.)
- Lautstärke für Menschen mit Hörgeräte muss berücksichtigt werden (z.B. Schallschutz, Lautsprecher, usw.)
- es schon Barrieren gibt, vor einer Veranstaltung beginnt, z.B. :
- Menschen mit Behinderung ist nicht eine einheitliche / homogene Gruppe!
- Es gibt verschiedenen Bedürfnisse
- Aber auch verschiedene Stärken, was eine Bereicherung darstellt.
- Integration ist nicht gleich Inklusion!
- Es ist extrem wichtig, sich im Umgang mit Menschen mit Behinderungen auf gleicher Augenhöhe zu bewegen. In der Gesellschaft gibt es aber oft die Tendenz, Menschen mit Behinderung nicht als so „gleichwertig“ zu betrachten.
- Kommunikation auf Augenhöhe bedeutet: „Nicht über sie ohne sie“. Mit Betroffenen reden ist gebraucht: nur eine Person kann für sich selbst Fragen beantworten wie „Was brauchst du? „Wo sind deine Grenzen?. Es ist auch wichtig, NICHT ohne Einwilligung zu helfen!
- Wörter sind da auch wichtig. z.B. Aktion Mensch hieß damals Aktion „Sorgenkind“, was eine ganz andere Konnotation hat.
- Man muss sich bewusst werden, dass wir alle Vorurteile haben (oft unbewusst / Unconscious bias)
- Inklusion verlangt, dass wir unsere Darstellung / Narrativ ändern: Defizitwahrnehmung vs. Ressourcenwahrnehmung, die die Stärke wertschätzt.
- z.B. Menschen mit Behinderungen sind oft besonders Organisationsfähig – den Alltag müssen sie sehr genau planen (wo komme ich zur Veranstaltung mit Rollstuhl, wie plane ich den Tag mit Energiemanagement, usw.)
- Dafür brauchen sie Rücksichtnahme – z.B. in Aufgabenteilung, Vorlaufzeit für Planung, usw.
- ABER im Engagementbereich / Ehrenamt gibt es zu oft „keine Zeit“ fürs Mitdenken von Menschen mit Behinderung, die „erst“ de-priorisiert werden. Grund dafür ist eine Ressourcenknappheit (Arbeitsüberlastung).
- Deswegen ist es auch extrem wichtig, dass wir die Narrative ändern: Rücksichtnahme ist kein Vorteil aber ein Nachteilausgleich. Gleichzeitig ermöglicht es die Anerkennung der Stärken und Ressourcen, die Menschen mit Behinderung mitbringen, auch, Fortschritte zu machen und zusammenzuarbeiten.
- Inklusion verlangt, dass wir unsere Darstellung / Narrativ ändern: Defizitwahrnehmung vs. Ressourcenwahrnehmung, die die Stärke wertschätzt.
- Finanzierung ist oft eine große Frage: es gibt Ressourcen (siehe Folien), aber oft mit viel Vorgaben, z.B. „nur“ Festangestellte, „nur“ wenn der Mietvertrag länger als 5 Jahre, usw.
Hans-Georg Fischer ist seit über 30 Jahre ehrenamtlich engagiert. Er ist Vorstandsmitlied der Blinden- und Sehbehindertenverein Süd-Baden e.V. (BSVSB) und leitet der nimmt Teil in unterschiedlichen Aktivitätsgruppen des BSVSB Vereins.
In seinem Vortrag erklärte er, dass er oft Diskriminierung erlebt (hat) (z. B. Sprachlich wird ihm oft gesagt: „gehen Sie einfach da“; „geben Sie mir das“).
Erfahrungsbericht: Viel Erfahrungen mit Behörden. Es tauchen immer wieder Absurditäten auf:
- z.B. : Weiße Streife an Straßenbahn Haltestelle wurden schnell erledigt, aber die VAG kann durch eine Durchsage nicht ankündigen, wenn die Straßenbahn ankommt , weil es angeblich zu viel Arbeit für die Fahrer_innen wäre. Stattdessen haben sie eine VAG App entwickelt mit Lautsprecher-Funktion, aber es funktioniert nicht für die Nutzer_innen, weil die Distanz ist zu weit für den Einstieg. Dies hat negative Auswirkungen auf die unabhängige Mobilität von blinden und sehbehinderten Menschen.
- z.B.: Ampelausbau Geschwindigkeit: Zwar gut, dass es gibt, aber mit dieser Geschwindigkeit wird es 80 Jahre dauern, bis alle Ampeln umgebaut wären
Es braucht deswegen viel Geduld, um jahrelang solche Erfahrungen auszuhalten. Die Erfahrung legt nahe, dass alle nicken, aber meinen es nicht ernst (oder zumindest gibt es keine Verbindlichkeit).
Seine Motivation für Engagement liegt daran, dass er selbst betroffen ist, und selbst erlebt hat, dass wenn man eine Chance bekommen hat, etwas zu erleben und selber zu machen, dann will man noch mehr erleben / machen (Empowerment). Deswegen findet er auch sehr wichtig, dass Eltern, die Kinder mit Behinderung haben, die Kinder nicht von Aufgaben „schützen“. Anstatt zu sagen „das kannst du nicht“ oder „lass mich – das mache ich schneller“, ist es besser den Kindern die Möglichkeit zu geben, ihre eigene Erfahrungen zu machen, sodass sie ihre Selbstwirksamkeit und Selbstwert spüren können. Das Gleiche gilt im Engagementbereich: Es muss Raum dafür geben, dass Menschen mit Behinderungen selbst etwas tun können.
Come Together (Zusammenfassung) nach Austausch in zwei kleinen Gruppen
Rückmeldung von der Gruppe mit Bergit Fesenfeld
- Folgende Fragen wurde gestellt:
- Was braucht es, um das Thema sichtbarer zu machen / Initiativen/Gruppen zu erreichen
- Ideen: Mitmachbörse, gezielte Anfragen, usw.
- Warum wird das Thema als Randthema behandelt, wenn doch jede 10. mit Behinderungen lebt?
- Was für Ressourcen braucht man als Engagierte?
- Energiemanagement, wenn es Überförderungen gibt
- Wie geht man mit Loslassen, Grenzen setzen, andere Schulter zu finden, die mittragen…
- Was braucht es, um das Thema sichtbarer zu machen / Initiativen/Gruppen zu erreichen
Rückmeldung von der Gruppe mit Hans-Georg Fischer
- Barrieren beim Haus des Engagements: die größte Barriere ist vermutlich der Weg von Straßenbahn Haltestelle zum Haus des Engagements.
- Wie kann man eine Website testen, um zu wissen, ob es wirklich barrierefrei ist? Kontakte mit Betroffenen kann helfen. Es ist daher relevant, sich mit Verbänden und Vereinen in Verbindung zu setzen, die Menschen vertreten, die eine bestimmte Behinderung haben und oft wissen, wie man bestimmte Arten von Barrieren, denen sie gegenüberstehen, abbauen kann.
- Eine Herausforderung ist, die Zeitmangel: wir nehmen nicht genug Zeig füreinander. Es wäre wichtig, die eigene Wünsche zu äußern und Mut zu haben.
- Anmerkung: viele Behinderungen sieht man gar nicht an
- Folgende Fragen wurden gestellt:
- Sind Raumbeleuchtung für Sehbehinderte störend? Ja, für manche schon, aber manchmal die Lösungen kosten zu viel (z.B. Lampen austauschen)
- Wann ist es angebracht, jemanden nachzufragen, ob Hilfe gebraucht wird? Ja, wenn unsicher, lieber zu fragen
- Welche Informationsquelle/Methode nutzt man, um Information über Veranstaltungen (oder Anfahrt, Auststattungen, usw.) zu finden? Z.b. Anfahrt: – Smart-Phones + Navi + VAG App
Abschlussrunde
Ein Aspekt, das jede / jeder Teilnehmende mitnimmt:
- viele neue Perspektive
- positive Frust: Barrieren sind ein Dauerthema
- Enttäuschung: es bleibt noch viel zu tun
- „Es geht nicht nur mir so, anderen geht es auch so. Ich kann daraus Mut nehmen“
- neue Infos / Kontakte
- Orientierung / Sicherheit an dem Thema, um damit anzufangen
- schön, dass es Interesse hier gibt bei den Anwesenden
- froh, dass es Bereitschaft gibt, über das Thema zu sprechen, oft als Tabuthema behandelt
Eine Bitte ans Haus des Engagements:
- inklusives Haus des Engagements : Weiter gute Rahmenbedingungen fürs Engagement mit Menschen mit Behinderungen zu schaffen
- Wiki für Ressourcen, wo jede und jeder eintragen kann
- die Voraussetzungen sind da. Es braucht mehr Begegnungen
- Erlebniswerkstatt für die Sensibilierung Menschen ohne Behinderung
- Kommunikationsbarriere für diese Veranstaltung und andere sind zu überwinden
- Wunsch, dass HdE weiter an dem Thema bleibt
- weitere Finanzierung für das Thema, um weiter daran zu bleiben
- eine organisatorische Verankerung, um an dem Thema zu arbeiten (es gibt schon bei der Stadt: Behindertenbeauftragte, Inklusionsbeauftragte)
- (zeitliche) Kapazitäten im Haus des Engagements, um das Thema zu widmen, nicht nur für die „projektbezogene Stelle“
- Ideen, um mehr Menschen für das Thema zu erreichen/gewinnen

