Eingreifen, wenn jemand angepöbelt oder sogar angegriffen wird? Reagieren, wenn eine offensichtlich hilflose Person am Rand des Marktplatzes liegt? Den Mund in der Straßenbahn aufmachen, wenn eine Frau blöd angemacht wird?
Vermutlich haben alle Menschen solche Situationen schon einmal erlebt und sich gefragt, ob und wie sie wirklich klug und sinnvoll handeln können und sollten.
Gerade in Zeiten populistischer Anfeindungen wird das Thema «Zivilcourage» immer wichtiger, um Menschenwürde und Demokratie zu schützen.
Am 4.3.25 gab es zunächst wertvolle Infos und Tipps zum Thema von Ivo Schölzke, der bei der Freiburger Polizei für Prävention zuständig ist. Im Anschluss konnten bei einer Frage- und Diskussionsrunde in konkreten Beispielen eigene Erfahrungen besprochen werden.
Ablauf:
19:00-19:10 – Begrüßung und Einführung
19:10-19:35 – Impulsvortrag von Ivo Schölzke, der bei der Freiburger Polizei für Prävention zuständig ist
19:35 – 20:10 – Frage- und Diskussionsrunde
20:10-20:20 – Pause
20:20 – 20:50 – Frage- und Diskussionsrunde mit konkreten Beispielen
20:50-21:00 Abschluss
Teilnehmende: ca. 22
Dokumentation
1) Input vom Referenten
Definition Zivilcourage:
- Werteorientiertes Handeln in der Öffentlichkeit
- Mut erforderlich, da Risiken bestehen (soziale Bewertung, Gefahren)
- Eingreifen zugunsten anderer bei unvorhergesehenen Situationen
- Wehren gegen Zumutungen und Angriffe, auch ohne akuten Handlungsdruck
Kann man Zivilcourage lernen?
- Ja, durch gezieltes Training
- Rollenspiele und Übungen helfen, Handlungskompetenzen zu entwickeln
- Lernerfahrungen in realen Situationen erhöhen Entschlusskraft und Bereitschaft
- Trainings ermöglichen spielerischen Umgang mit Ernstsituationen
6 Regeln der Polizei zur Zivilcourage:
- Hilf, aber bring dich nicht in Gefahr
- Rufe die Polizei unter 110
- Nur Polizei unter 110 (nicht Feuerwehr oder Rettungsdienst), aber sie können auch an Feuerwehr und Rettungsdienst weiterleiten
- 112 leitet Anrufe ggf. an 110 weiter
- Kurz den Sachverhalt schildern, Polizei stellt gezielte Fragen und leitet das Gespräch – wir müssen uns nicht vorher Gedanken machen, was/wie zu sagen ist (manchmal schwierig unter hohem Stress)
- Polizei kommt auch, wenn nur subjektives Bedrohungsgefühl vorliegt – KEINE Sorge, wenn nichts passiert! Lieber anrufen, als wenn es zu spät ist
- Andere um Mithilfe bitten
- Direkt und konkret ansprechen („Sie mit dem blauen Hemd, bitte rufen Sie die Polizei“)
- Aggressoren nicht duzen, sonst denken die anderen, dass es um etwas Persönliches geht
- Täter*innenmerkmale einprägen
- Studien zeigen – Wahrnehmung oft verzerrt, daher bewusste Beobachtung wichtig
- Falls möglich, Fotos oder Videos als Beweissicherung aufnehmen (nur für Polizei, nicht an andere weiterleiten-Datenschutz!)
- Sich um das Opfer kümmern
- Erste Hilfe leisten, wenn nötig
- Psychologische Unterstützung anbieten
- Als Zeuge aussagen
- Polizei muss ermitteln (gesetzlich)
- Zeugenaussagen stärken die Opfer und helfen der Aufklärung – bitte gebt der Polizei eure Personalien
- Neutralität der Zeugen wichtig, auch wenn sie nicht aktiv eingegriffen haben
2) Frage- und Diskussionsrunde
- Woher nehme ich den Mut zur Zivilcourage?
- Menschen werden oft mutig, wenn sie andere handeln sehen
- Persönliche Ressourcen (z.B. Erziehung, Selbstwirksamkeit, Demokratieverständnis) beeinflussen Handlungsmotivation
- Wie greife ich ein, ohne sehr konfrontativ zu sein, wenn es nicht um Straftat geht (z.B. Füße auf Sitzplätze in der Bahn, offenbar schlecht behandelte Kinder)
- In Dialog gehen, nicht konfrontieren
- Ich-Botschaften nutzen („Ich habe gesehen, dass…“)
- Evtl. Ressourcen für Hilfen aufzeigen (z.B. Jugendamt, soziale Einrichtungen)
- Wenn in Bahn oder ÖPNV Situationen mit Handlungsbedarf entstehen- darf man auch direkt die Polizei anrufen oder muss man erst mit Sicherheitsdienst/Personal der ÖPNV sprechen?
- Bei Straftaten sofort Polizei rufen
- Bei anderen Störungen Personal ansprechen
- Wenn jemand belästigt wird, erst Andere aktiv einbinden, Opfer in Gruppe aufnehmen („Komm zu uns“)
- Notbremse nur bei Lebensgefahr betätigen
- Umgang mit Überraschungssituationen
- Training hilft, Unsicherheiten zu reduzieren
- Täter*innen nutzen Schockmoment aus, deshalb Vorbereitung wichtig
- Polizei kann eine Anzeige nicht verweigern, auch wenn keine Beweise vorliegen. Falls doch, kann man Widerspruch anlegen
- Wiederholungstäter*innen können durch mehrere Anzeigen überführt werden
- Psychologische Unterstützung nach Eingriff
- Notfallseelsorge und Weißen Ring nutzen
- Psychologische Betreuung für Zeugen belastender Ereignisse, Infos dazu durch Polizei
- Rassistische Vorfälle
- Polizei rufen, auch wenn keine körperliche Gewalt im Spiel ist
- Opfer ansprechen und unterstützen
- In öffentlichen Verkehrsmitteln: Busnummer und Uhrzeit notieren, Beschwerde einreichen
- Zivilcourage am Arbeitsplatz
- Nicht immer Polizei notwendig, stattdessen Personalrat oder Betriebsrat informieren
- Rechte von Menschen mit Migrationshintergrund
- Gleiche Rechte bei der Polizei, unabhängig vom Aufenthaltsstatus
- „Alltagsrassismus“ oft schwer nachzuweisen, aber Meldung dennoch sinnvoll
- Notruf im Ausland
- 110 gilt nur in Deutschland
- Im Ausland gibt es oft Notrufnummern in der Willkommen-SMS
- Verhalten als Opfer
- Hilfe aktiv einfordern, Menschen direkt ansprechen
- Verantwortungsbewusste Personen gezielt ansprechen („Sie mit der roten Jacke, helfen Sie mir“)
Im Folgenden werden konkrete Situationen durchgesprochen, welche u.a. auch aus (Daten-)Schutzgründen hier nicht veröffentlicht werden.
3) Abschluss: Fazit
Wichtigste Botschaft, mitzunehmen:
- Wahrnehmung schärfen, aufmerksam bleiben
- Polizei frühzeitig informieren, Schwelle zur Meldung nicht zu hoch setzen
Zivilcourage kann und sollte trainiert werden
- Eigene Erlebnisse reflektieren
- Rollenspiele und Fallbeispiele nutzen
- Durch Übung Handlungssicherheit gewinnen
Weitere Ressourcen
- https://www.aktion-tu-was.de/
- https://www.zivile-helden.de/
- Hand-Out im Anhang
- Kontakt: Freiburg.pp.praevention.k@polizei.bwl.de
Übrigens
4netzen ist ein regelmäßiges Austauschtreffen für Engagierte in Freiburg. Es findet (fast) immer am 4. eines jeden Monats statt. Alle Menschen sind herzlich eingeladen, die sich dafür einsetzen, die Ziele Umwelt, Soziales und Wirtschaft unter einen Hut zu bringen – global und für künftige Generationen. Dadurch sollen Synergien geschaffen, Kooperationen erleichtert und Konkurrenz vermieden werden.
Das Treffen wird organisiert in Zusammenarbeit von Haus des Engagements, Eine Welt Forum Freiburg und Stadtwandler.
Die gesamte Veranstaltungsreihe 4netzen findet im Rahmen des Eine Welt Promotor*innen-Programms statt, gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des BMZ und durch das Staatsministerium Baden-Württemberg.
Außerdem gefördert durch Brot für die Welt mit Mitteln des kirchlichen Entwicklungsdienstes