Dokumentation 4netzen am 4.6.2021: „Transitionsforschung und Nachhaltigkeit“

Können Sozialwissenschaften und Nachhaltigkeitsbewegung sich bei ihren Diskursanalysen unterstützen?

32 Teilnehmende, Online via Zoom

Anwesende Organisationen:

FUSS e.V.I.L.A. WerkstattWandelGarten Freiburg VaubanOpensourcecampus.de
Institut für Integrale Studien e.V.Über den TellerrandExtinction RebellionZusammenleben e.V.
Radio DreyecklandSHG Hashimoto-BasedowKultur leben e.V.Initiative Nachhaltigkeitsbüro Universität Freiburg
A.I.M. e.V.Stadt FellbachKind & Umwelt Gesundheitsförderung e.V.Kneippverein Kirchzarten e.V.
IPPNWFRIBIS (Freiburg Institute for Basic Income StudiesMurg im WandelBUND
Stadt Freiburg, KulturamtPAKT e.V.Rainforest Run FreiburgKUM e.V.
StadtWandlerHaus des EngagmentsTreffpunkt Freiburg e.V.Eine Welt Forum Freiburg e.V.

Ablauf

18.45 Uhr Einloggen/ Technik-Check/ Absprache mit Referenten

19.00 Begrüßung

19.05 Vorstellungsrunde

19.15 Impuls: Kurzvortrag Philipp Späth

19.30 Diskussion

19.50 Abschluss, Einleitung Open Space

20.00 Open Space

20.50 Abschlussrunde im Plenum

Impulsvortrag Philipp Späth, Universität Freiburg

1. Transitionsforschung und Nachhaltigkeit

Einige Erläuterungen zur Präsentation – Einige Grundbegriffe und Grundmuster der politischen Diskursanalyse

Governance = weiterer Begriff von Politik, der nicht nur die staatlichen Eingriffe und Akteure meint, sondern auch Zivilgesellschaft, Wirtschaft und auch andere Formen der Steuerung beinhaltet

discoursive shift = bezeichnet die sich in den letzten 30 Jahren in der Wissenschaft durchsetzende Erkenntnis, dass zur Erklärung politischer Entscheidungen nicht nur Interessen und formale Machtpotenziale relevant sind, sondern wie Probleme und Lösungen interpretiert werden, d.h. es kommt nicht nur auf der einen Seite Strukturen oder auf der anderen Seite Handlungen von Einzelnen an; ist kein entweder/oder, sondern ein Wechselspiel: Handlungen geprägt von Strukturen, aber Strukturen auch beeinflusst von Handlungen

Institutionalismus: wie formelle und informelle Regeln unser Handeln beeinflussen und lenken; aber ständig wandeln weil immer wieder kleine Änderungen stattfinden

Wir leiten in unseren Initiativen unsere Strategien davon ab, wie wir (intuitiv) Begriffe, Probleme & Lösungen definieren, und was für uns möglich und denkbar ist: „Nur was denkbar und sagbar ist, ist auch machbar“.

Storylines: Narrative/ Erzählungen; Gefühle, alles was sprachlich vermittelt ist

Koalitionen: Akteure, die dieselben Storylines verwenden

re-coding = Regelungen

re-imaging = Vorstellung wie das Energiesystem der Zukunft aussehen soll

Beispiel: Eine „Erzählung“ der Energielobby war, dass das EEG (Erneuerbare Energien-Gesetz) mit der Umlage zu stark den „Kleinen Mann“ belaste → wie wirkt sich diese Argumentation aus auf die konkrete Gestaltung des Einspeisetarifs? z.B. Deckelung; Umlage begrenzen, Abschaffung der Umlage = „recoding“, EEG Umlage war auch deshalb teuer, weil es Ausnahmen für große Industrien gab → reconfiguring: dadurch weniger Beteiligung von Bürgerprojekten

Diskursanalyse funktioniert nur in Retrospektive, also für einen Zeitraum in der Vergangenheit, das kann man nicht immer 1:1 übertragen auf Gegenwärtiges und hilft uns daher nicht unbedingt bei aktuellen Herausforderungen. Z.B. kann man denn Green New Deal dadurch nicht bewerten, aber man kann bestimmte Muster identifizieren, die immer wieder auftauchen (also „generisch“ sind)

discursive agency = Handlungsfähigkeit im Diskurs – jeder kann Begriffe umdeuten, anders verwenden; aber wie stark man als einzelner Akteur wirklich mitprägen kann, ist oft beschränkt. Agency/ Handlungsmacht/ Einflus ist auch sehr ungleich verteilt. Wer ernst genommen wird, hängt stark ab von Mandaten, offizieller Legitimation usw. = es gibt Hegemonie (Vorherrschaft/ Machtgefälle)

Analyse von Nachhaltigkeitstransitionen: es gibt ein Paradox: je stärker man sich an den Mainstream anpasst, desto mehr wird man gehört; aber desto weniger kann man etwas radikal anderes machen. Das gilt auch stark für Protestbewegungen, die sich an der Beschreibung des Problems abarbeiten, um von den Vorherrschenden umzudeuten.

Für die Zivilgesellschaft ist eine wichtige strategische Frage: Auf welche Felder haben wir am meisten Einfluss und wo könnte es passieren, dass man vereinnahmt wird von großen Akteuren? Z.B. sind die Kampagnen changing cities oder Radentscheide sind deshalb so erfolgreich, weil sie sich auf ihre Stadt fokussieren. Zwar geht es in der Verkehrspolitik auch um Stadt-Land-Beziehungen im Verkehr; aber strategisch hat man nur die Stadt gewählt, um es zu konkretisieren. Vielleicht ist deshalb auch die Lokale Agenda in den 1990ern gescheitert, weil man sich nicht so konkretisiert hat.

Meta-Diskurse: muss es der Wirtschaft dienen? „Systemfrage stellen“?

Irritation durch Austausch von verschiedenen Blickwinkeln ist hilfreich, um eigene „blinde Flecken“ aufzudecken.

Wie geht man in der Kommunikation wirklich damit um, dass andere Menschen / Gruppen ganz anders denken / fühlen? Wie erreicht man sie?

„Sein bestimmt das Bewusstsein“ – wo man drin ist, beeinflusst einen; Bürokratie oder große Unternehmen… welche Sprache müssten wir verwenden?

→ Menschen haben unterschiedliche Perspektiven, können sich abkoppeln

Institutionelle Logik: Innenperspektive von z.B. Stadtverwaltung – hilfreich ist dafür die soziologische Debatte der institutionellen Logiken, um zu verstehen, wo die Übersetzungsprobleme zwischen Stadtverwaltung und Vereinen/Initiativen entstehen. Sie haben andere Ziele und sehen andere Dinge an derselben Sache.

Aber nicht in Schubladendenken verfallen z.B. Stadtverwaltung hier; Unternehmen dort.

Wichtig sind Intermediäre Akteure = Akteure, die Brücken bauen, um zwischen verschiedenen Akteuren zu vermitteln

Zunehmende Kluft in der Gesellschaft, durch technische Entwicklung kann es sich jeder in seiner Blase einrichten. Deshalb: systematisches Schaffen von Austauschräumen ist das beste, was wir tun können. Die erfolgreiche Haltung dabei: es gibt kein besser und schlechter, sondern verschiedene Perspektiven (mit bestimmten Grenzen!)

Formale Machtstrukturen sind nicht statisch; sind natürlich zentral und sehr starke Kräfte, die bestimmte Gesellschaftsveränderungen verhindern wollen, aber diese Machtressourcen sind nicht in Stein gemeißelt.

Diskussion

Interessante Betrachtung der politischen Debatte, aber es fehlt mir die Analyse der konkreten Menschen und Menschengruppen – was motiviert sie, was haben sie gemeinsam? Milieus, Bewusstseinsstufen oder Untersysteme, wie auch immer – die Analyse muss der Frage dienen „Wie erreichen wir andere Menschen?“

Es wäre wichtig, große bürokratische Apparate besser verstehen, Beispiel Rundfunk.

Total gespaltene Gesellschaft, wir sind in einer sehr intellektuellen Blase, wir müssen an die Ursachen und eine verständliche Sprache finden.

Referent: ja, das stimmt alles. Muss entwickelt werden. Blick auf die verschiedenen Perspektiven schärfen. Dabei Vorsicht vor Schubladen. Immer auch den Blick auf die eigenen blinden Flecken richten. Zunehmende Kluft zwischen Bevölkerungsteilen sieht auch er. Austausch zwischen Bevölkerungsgruppen ist geringer geworden.

Wie kann man den Austausch verbessern, Brücken bauen? Intermediäre Räume schaffen, wie heute das 4netzen. Prinzip „auf Augenhöhe“. Dabei Vorsicht vor Akteuren, die das mit der Augenhöhe eben nicht wollen und einen solchen Raum missbrauchen.

Beispiel Vauban: Beim Neubau dieses Stadtteils gab es die Bemühungen, ihn autofrei zu gestalten. Diese Initiative schien in aussichtsloser Position, junge Leute vs. Stadtverwaltung. Dennoch hatte sie Erfolg. Erfolgsfaktoren waren u.a. erfolgreiche überregionale Förderanträge, direkter Draht zum Gemeinderat.

2. Open Space

Im Open Space konnte sich dann zu verschiedenen vorgeschlagenen Themen in den Gruppen ausgetauscht werden.

Vertiefung des Vortragsthemas

Stimmen der TeilnehmerInnen:

  • Sehr interessant. Aber ich brauche es konkreter: wieso hatte diese oder jene Kampagne/ Initiative Erfolg?
  • Können wir Muster erkennen für Erfolg oder Misserfolg? Können wir dahin kommen, etwas weniger intuitiv zu handeln? Warum ist eine soziale Bewegung erfolgreicher als die andere und was können wir daraus lernen?
  • Bin noch etwas erschlagen, muss darüber nachdenken. Auf jeden Fall ist Vernetzung wichtig.
  • Sehr anregend, aber ich brauch es ganz konkret. Wie würde so ein Austausch Wissenschaft/ Zivilgesellschaft aussehen können? Wie können wir Vernetzungsstrukturen voranbringen?
  • Fühle mich sehr angesprochen vom Dilemma zwischen Anpassung (man wird gehört) und Transformationspotential (man gerät ins Abseits).
  • Ist das nicht ein Scheinwiderspruch? Nur wer gehört wird, kann verändern. Gehört zu werden gehört zum Transformationspotential dazu.
  • Sehr spannend, bisher viel zu wenig über diese Dinge Gedanken gemacht, fühlt sich auf eine neue Schiene gehoben, die er gerne weiterverfolgen möchte.
  • Wie kriegen wir die Wahrheit an andere Leute ran? Beispiele: Themen wie Kindesmissbrauch in Radio-Sendungen. – Positive Besetzung durch eine Preisverleihung. – Ganz verschiedene Wege nötig, weil es verschiedene Menschen gibt. – Wie konkret Brücken bauen? Immer Querbezüge mitdenken und Komplexität runterbrechen auf ein konkretes Beispiel.
  • Philipp Späth: wir als Wissenschaft haben natürlich keine Glaskugel. Man muss es probieren. Wir müssen noch experimentieren und von erfolgreichen Aktivitäten lernen. Leute, die ständig in einem Politikbereich unterwegs sind, entwickeln eine spezielle Sicht, da kann schon der Austausch mit anderen Perspektiven etwas Neues bringen.
  • Aber es gibt doch schon Erfahrungen mit erfolgreichen Kampagnen (z.B. Widerstand gegen das Atomkraftwerk Wyhl seit 1972) – was sagen die Auswertungen?
  • Zwei Strategien: Konkrete Aktionen wie Rad- und Fußentscheid, da kann man mit viele Leute zusammenbringen. Aber wenn es eine strategische Debatte wird, wird es schwierig, Leute dabei zu haben. Was tun?
  • Greta Thunberg hat ja die geforderten Veränderungen nicht erreicht, nur öffentliche Sichtbarkeit, real passiert ist ja noch nicht viel… wie verstehen wir das?
  • Diese politikwissenschaftliche Betrachtung ist wichtig, aber ihr fehlt die soziologische, psychologische, historische Perspektive.
  • Philipp: ja, ist wertvoll, aber wir müssen beschleunigen. Beobachtbare Faktoren: eigenes Profil schärfen und Bündnisse schmieden.
  • Eben weil die Krise sich zuspitzt und die Zeit knapp zu werden scheint, sind alle Beteiligten, auch die Wissenschaft, aufgerufen, die Grenzen des Denkbaren auszuweiten. Eine wichtige Frage ist doch: warum gibt es uns überhaupt – die Nachhaltigkeitsinitiativen? Was waren die Faktoren des bisherigen Transformationsprozesses? Die müssen wir verstehen, um den Wandel beschleunigen zu können.

Ergebnis der AG: es finden sich drei Leute (Philipp Späth, Franz-Albert Heimer, Bergit Fesenfeld), die sich Gedanken machen darüber, wie eine „Brücke zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft“ organisiert werden kann. Motto u.a.: „die Volkshochschule Wyhler Wald ins 21. Jahrhundert holen“.

Vernetzung

Wie kommen wir raus aus unserer Filterblase? Heftige Debatte zwischen zwei Teilnehmern.

  • Barcamp am 7. Juli. Zielgruppe: Initiativen. Lief etwas parallel zu bisherigen Vernetzungsstrukturen
  • Wer muss für den Wandel noch erreicht werden? Wie erreichen wir die Leute? Wie können wir Filterblasen platzen lassen?
  • Motto: „Pop The Bubble“, bitte bei 4netzen aufgreifen

Neokolonialismus im Nachhaltigkeitsdiskurs

Historische Verantwortung des globalen Nordens für den Klimawandel ist unterbeleuchtet, muss an die Schulen usw. Fridays for future ist getragen von weissen, privilegierten SchülerInnen. Da gibt es blinde Flecken.

  • Problemidentifikation
    • Selbst im Klima-Aktivismus gibt’s noch sehr koloniale Strukturen
    • White saviourism, sehr weiße privilegierte Bewegung —> Bevormundende Haltung
    • Es fehlt teilweise auch an Wissen —> Das Thema ist einfach nicht genug im Lehrplan!
      • Lehrer*innen reproduzieren of Diskriminierung & Rassismus, statt gegenzusteuern (weil selbst weiß & privilegiert)
    • Negativbeispiele
      • Klimagerechtigkeit-Workshop —> Auch bei solchen Veranstaltungen kann es unter TN zu diskriminierenden/ rassistischen Äußerungen kommen
      • Seaspiracy —> white saviorism (viel Fokus auf Asiatische Überfischung)
  • Narrative/ Beobachtungen
    • Norden als verantwortlich? —> Diskurs lässt keinen Platz für PoC oder Indigene, die sich schon viel länger engagieren
    • Problematisch: „Die wissen es ja nicht besser“-Argumentationsweise, statt Verantwortung (z.B. Regenwald)
    • Umweltbewegung auch als Ego-Trip? —> Ökologisches Helfersyndrom, „Ökolonialismus“
    • FFF —> Diskurs rückt Globalen Norden ins Zentrum (wenngleich Bewusstsein irgendwo da ist/ steigt?)
    • Es gibt auch Beispiele für Teilhabe/ Einbezug und aktive Rolle von Initiativen/Menschen aus Globalem Süden
  • Inwieweit ist Veränderung da? Wie groß ist das das Bewusstsein?
  • Lösungsansätze/ Strategien
    • Globaler Norden: Zuhören, sich nicht ständig selbst in den Mittelpunkt stellen
    • Lehrplan & Schule:
      • Die deutsche Kolonialgeschichte aufarbeiten
      • Aktuelle Zusammenhänge verdeutlichen
      • Grundlagenarbeit, Kolonialgeschichte, Neokoloniale Strukturen gehören mehr in die Schule!!!
      • Mehr Fortbildung für Lehrpersonal bezüglich Antidiskriminierung!
    • Klimagerechtigkeit
      • Raum schaffen, wo Diskriminierung nicht geduldet wird! Als weiße Person dagegenhalten!!
      • Es muss für alle Schüler*innen klar sein, dass Klimagerechtigkeit die ganze Welt betrifft
    • Strukturelle Zusammenhänge klarmachen
    • Anderen Initiativen/ Gesellschaften/ Orten eine Stimme geben

Links & Hinweise

https://padlet.com/magdalenalanger1/g77zxl49p1j01x7s

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